Heute Nacht war er bei mir! Mein Vater, der seit 1984 am Waldfriedhof in München begraben liegt. Er saß plötzlich da, einfach so, locker in einem Lehnstuhl, die Füße überkreuzt, Anzughose mit Bügelfalte –Stresemann – Sakko, weißes Hemd, an seinen Handgelenken funkeln golden die obligaten Manschettenknöpfe, entlockt er mir ein kehliges OHHHH mit seinem unvermuteten Erscheinen. Sein Haar ist dunkel, so dunkel wie ich es in Erinnerung habe, ich muss so etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als sich diese Farbe in mein Gedächtnis gebrannt hat. Ich kann es zeitlich zuordnen, weil es bald etwas lichter und dünner wurde, so empfand ich es zumindest, so wie der ganze Vater lichter und dünner wird in meiner Erinnerung, je schneller ich mich dem Erwachsenwerden näherte.
„Ich bin gar nicht tot, mir geht es blendend, wie du siehst. Die spinnen alle, ich bin nicht gestorben.“ Er lächelt sein unnachahmliches Lächeln, die Mundwinkel jeden Satz ironisch untermalend in die Breite gezogen.
„72 Jahre und blendend in Schuss wie du siehst!“ Ich nicke anerkennend und bekomme kein Wort über meine Lippen. Jetzt, jetzt wo ich die Chance hätte, ihm alles reinzusagen, ihn verbal zu prügeln, zur Rechenschaft zu ziehen, für alles, was er mir angetan hat, nämlich nichts für mich zu tun, nicht für mich da gewesen zu sein (der Arsch, der elendige), jetzt überkommt mich eine unheimliche Sehnsucht, von ihm in den Arm genommen zu werden, mich von seiner Stimme streicheln zu lassen, ihn zu fühlen, seine Anwesenheit, die ich so vermisst habe, als ich ein kleiner Junge war, die Stimme, die ich jetzt vermisse und die ich bis ans Ende meiner Tage vermissen werde.
Aber warte, ich erwisch dich schon noch! Komm bald wieder, das nächste Mal bin ich besser vorbereitet!
„Ich bin gar nicht tot, mir geht es blendend, wie du siehst. Die spinnen alle, ich bin nicht gestorben.“ Er lächelt sein unnachahmliches Lächeln, die Mundwinkel jeden Satz ironisch untermalend in die Breite gezogen.
„72 Jahre und blendend in Schuss wie du siehst!“ Ich nicke anerkennend und bekomme kein Wort über meine Lippen. Jetzt, jetzt wo ich die Chance hätte, ihm alles reinzusagen, ihn verbal zu prügeln, zur Rechenschaft zu ziehen, für alles, was er mir angetan hat, nämlich nichts für mich zu tun, nicht für mich da gewesen zu sein (der Arsch, der elendige), jetzt überkommt mich eine unheimliche Sehnsucht, von ihm in den Arm genommen zu werden, mich von seiner Stimme streicheln zu lassen, ihn zu fühlen, seine Anwesenheit, die ich so vermisst habe, als ich ein kleiner Junge war, die Stimme, die ich jetzt vermisse und die ich bis ans Ende meiner Tage vermissen werde.
Aber warte, ich erwisch dich schon noch! Komm bald wieder, das nächste Mal bin ich besser vorbereitet!
bluevelvet001 - am Samstag, 30. September 2006, 18:58