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Bluevelvet001
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Es gab gewaltige Unterschiede bei den Heftchen! 1972 bis 1974 hatten sie ihre Blütezeit. Trivialliteratur vom feinsten. Warum die Serien, die ich am meisten liebte nach 46 bzw. 50 ausgaben eingestellt wurden, weiß ich bis heute nicht.
MONSTRULA beeindruckte durch sehr abwechslungsreiche Geschichten, welche die Präsenz von geistern und Dämonen auf der erde von Heft zu Heft größer werden lies. Besonders interessant dabei die Ausgangsposition des Protagonisten, Jack Callum. Er war Reporter bei einer großen Londoner Tageszeitung. Ein Metier, dass mich immer sehr fasziniert hat und auch später meinen beruflichen Lebensweg prägte.
Ganz im Gegensatz zu DR.MORTON. Seine brutalen Experimente an menschlichen wesen (natürlich alle aus dem Verbrechehrmilieu - um die exemplarischen, bis ins Detail beschriebenen Grausamkeiten, irgendwie rechtfertigen zu können) faszinierten wegen ihrer Kompromisslosigkeit und machten den pseudointellektuellen Nobelarzt und sein Doppelleben zum Kult. Der heimliche Star jedoch war Grimsby, sein Helfer. Mit einem beidseitig geschliffenen Messer zog er eine blutige Spur durch Lohndons Unterwelt, immer auf der suche nach neuen Versuchskaninchen für Dr. Morton. Sexuelle Befriedigung konnte er nur erreichen, wenn er sich junge, meist blonde Frauen, mit Hilfe seines Messers gefügig machte und ihnen kurz vor dem Orgasmus säuberlich die Gurgel durchtrennte.
Ich las sie im Obus, auf der fahrt zur Schule, während des Unterrichts, statt zu lernen, am Klo, stehend, sitzend, liegend, sie zogen mich in ihren Bann, vertrieben die Langeweile und ich lebte in London, flog nach Rio, bumste mit den schönsten Frauen, trank Champagner mit Dr. Morton, schoss Fotos für die Reportagen von Jack...ständig begleitet von einem Hauch des verruchten, verbotenen, makabren...herrlich!
bluevelvet001 - am Donnerstag, 15. April 2004, 12:13

Beim Durchlesen meines letzten Beitrages begann ich zu rechnen. In den 70er Jahren habe sicher einige hundert dieser „Schundheftln“ konsumiert. Unreflektiert wohlgemerkt.
Der begriff der „Reflexion“ war bestenfalls aus dem Physikunterricht bekannt. Deuten und zusammenhänge herstellen, war jedoch auch damals schon meine Sache.
Die Existenzialisten, die roten rororo-Taschenbücher, Sartre, Camus im Bücherregal, hoben sich deutlich von der gelb leuchtenden Reclamlektüre für den Deutschunterricht ab. Sie kamen mir zu Hilfe, und bis heute glaube ich, dass es ihnen zu verdanken ist, dass meine Psyche keinen größeren schaden genommen hat. Durch die Beschäftigung mit den Ideen des Existenzialismus erfolgte eine Reflexion der haarstäubenden Inhalte (vor allem der Horrorromane), ohne dass sie als solche benannt wurde.
Es war verdammt faszinierend, Oma und Opa – ganz auf Existenzialist getrimmt - mit antiklerikalen, nihilistischen, ja-atheistischen Thesen zu ärgern, ihnen ihre Nazivergangenheit vorzuwerfen, sie mit ihrem „wegsehen und weghören“, ihrem Antikommunismus und Floskeln wie: undemokratisch, blind, rassistisch und antisemitisch an die wand zu nageln, ohne dabei zu bemerken, dass man schon meilenweit von existenzialistischen Ansätzen entfernt war und selbst moralisierte, schlimmer als der fanatische Dorfpfarrer von der Kanzel.
Verwirrt?
O.k. Ich versuche die kurve zu kriegen.
Der Existenzialismus lieferte mit seinem - vor allem durch Sartre definierten eigenen Wertekosmos, der keine Rücksicht auf Autoritäten, gesellschaftliche normen oder religiöse bzw. moralische Konventionen duldete - die Basis. Einige extreme Vertreter sahen Donatien de Sade, den berühmt - berüchtigten Marquis, als ersten Vertreter des Existenzialismus. In seinen Gehschichten triumphierten Immoralität, Egoismus und Rücksichtslosigkeit immer über Moral und Tugend. De Sade schrieb erstmals auf, was andere Menschen bis dahin nur dachten. Man konnte in die abgründe der menschlichen Seele blicken, eine Vorstellung davon bekommen, zu welcher Destruktivität Menschen fähig sind.
Nächster schritt:
Die Verbindung knüpfen vom Existenzialismus über de Sade (erfolgreich legitimiert durch Simone de Beauvoir, der Partnerin Sartres - „soll man de Sade verbrennen?“) hin zu Machiavelli (den hatte man im Geschichtsunterricht aufgeschnappt), dessen „Der Zweck heiligt alle mittel“, in die gleiche kerbe schlug - all diese großen Namen und Strömungen trugen nachhaltig dazu bei, dass es möglich wurde „Dr. Morton"- Hefte zu lesen, ohne ausgelacht zu werden. Bei einer Diskussion über die Trivialität der spekulativen Inhalte brauchte nur einer dieser Namen erwähnt werden und schon konnte man sich als Sieger wähnen.“ Was anderes formulierte Sartre oder Machiavelli – denk an „Selbsterhaltung und Machtsteigerung als einziges Prinzip politischen Handelns...“, oder „rasches und rücksichtsloses handeln ist besser als vorsichtiges abwägen...“ Kaum jemand war in der Lage, solchen philosophischen Größen oder strategischen „Kapozundern“ etwas entgegen zu setzen.
DR. MORTON- Wissenschaftler - oder Verbrecher? Nobelpreisverdächtiger Wohltäter oder finsterer Dämon? Außergewöhnlich, initiativ, zielstrebig, ungeheuer ehrgeizig, geachtet, geehrt – genial- und doch hart, rücksichtslos gehasst! Charles Bronson sah in dieser Zeit im Kino "rot", die erste Körpeerweltenausstellung ist noch viele Jahre entfernt: Auftritt Dr. Glenn Morton, die erste Serie, in der gut und böse nicht getrennt sind, das „gute“ nicht gewinnt, die Helden unsäglich menschenverachtend agieren, immer darauf bedacht, jedes tabu zu brechen. Die Monty Pythons der Abartigkeit. Zynisch, kompromisslos, radikal, ohne jegliches Mitgefühl. Vielleicht gerade deshalb näher an tatsächlichen zuständen, als jedes andere Produkt populärer Massenunterhaltung.
Und – die Fragen der Tugendwächter:
Reaktionär, faschistisch und von perverser Verderbtheit? Die Jugend aufs gröbste gefährdet, schlichte Gemüter verwirrt? Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ging kein Risiko ein, fast jedes Heft der Serie wurde indiziert.
Ha! Ein Grund mehr sich die Dinger zu besorgen, woher auch immer!
Ich habe keinen schaden genommen, soweit ich das für mich selbst behaupten kann. Noch heute halte ich es nicht aus, bei Gewaltszenen im Kino „dran zu bleiben“, der kopf verschwindet zwischen hochgehaltenen Händen oder versenkt sich hinter den aufgestellten knien, ich mache einfach die Augen zu und stecke mir die Finger in die Ohren, hin und wieder verkralle mich aus versehen in den arm meines Nachbarn.
Die natürliche grenze funktioniert!
bluevelvet001 - am Dienstag, 20. April 2004,

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