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trauriges

Das Neonlicht flackert gespenstisch im hinteren Teil des Ganges. Es ist später Abend. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, war es wie ein kleiner Abschied. Die Atmosphäre hier ist anders, Besuche verlaufen anders, in diesen Gängen riecht es nicht nach Desinfektionsmittel, zumindest merkt sie es nicht. Nicht Krankenhaus, vielmehr Büro, Verwaltungstrakt, silberne Schilder mit Namen und Titel und Funktionen: OA, Prim., Sekretariat, Anmeldung, Dr.X, Mag.Y., Anmeldung. img_ueck_gang1
An der Tür, hinter der er kurz zuvor verschwand steht nichts. Sie sitzt und wartet auf ihn. Die Stille ist ohrenbetäubend. Hinter ihr hängen Schilder, die ein Wort erklären, ein Wort, welches - wird es zur Realität - immer Veränderung verursacht, Veränderung für den Betroffenen selbst und all diejenigen, die mit dem Menschen, der in sie stürzt, in Verbindung stehen:
K R I S E .
Anschaulich bunt (Signalfarben in allen Abstufungen) und mit aussagekräftigen Symbolen versetzt, wird der Weg dorthin, der Verlauf und die Gefahren auf vier bunten Tafeln dargestellt. Die letzte Tafel hat die Lösungen, für den Weg aus der Krise; für die, die daran glauben oder glauben wollen oder noch präziser, glauben müssen.
Sie wartet, betrachtet ihre Schuhspitzen, stellt sie in verschiedenen Winkeln zueinander, immer wieder fällt ihr Blick auf das Handy, das sie neben sich auf einen freien Stuhl gelegt hat, sie erhebt sich, drückt ihre Hände in ihr Kreuz, streckt sich durch, blickt auf die Tür, hinter der er verschwand, die Tür ohne Schild. Was dahinter ist, hat viele Namen, sie fürchtet sich davor. Depression, Panik, Manie, Suizidgefahr, Psychose, Störung,... keine dieser näheren Bestimmungen der „Krise“ lässt weiter zu, den Menschen, der dahinter steckt zu sehen, wie er war. Und selbst wenn man ihn lange gekannt hat, ist es leichter, sich dieser Begriffe zu bedienen, wenn man über ihn spricht; es schafft Abstand, lässt vergessen.
Er tritt durch die Türe und schüttelt den Kopf, nur leicht, doch mehr braucht es nicht, sie weiß, es hat sich nichts verändert, man steht beim ersten Satz der vierten Tafel.

Frontal und kalt treffen die Worte.
Losgeschickt, um zu verletzen.
Der Zorn verwandelt uns beharrlich
Von Angst wird er vorangetrieben.

Pumpendes Herz, zitternde Hände
Das kleine Kind, es bricht hervor.

Die Angst auf beiden Seiten
Diesmal ganz ohne Netz.
Der Stolz beherrscht den Kopf
Er liebt den Zorn, der bringt ihm Macht.

Und wieder schlägst du wild zurück
Statt in dein Herz zu schauen
Um den geliebten Menschen
Doch endlich wieder klar zu sehen.

Doch merkst du schnell
Es geht nicht mehr
Es gibt nun kein Zurück

Erst später
Wenn die Trauer Einzug hält
Besiegst du Stolz und Zorn
Und kehrst zurück ins Leben.

Vernunftbetontheit nutzt hier nicht. Das Gefühl taucht auf wie dieser bekannte Brechreiz, der auch dann noch auftritt, wenn man sich schon drei Stunden die Seele aus dem Leib gekotzt hat. Plötzlich ist es wieder da. Du versuchst gedanklich dagegen zu steuern, das Bild zu vertreiben. Das macht es nur schlimmer. Der Mensch an den du denkst startet los in neue Dimensionen du erkennst ihn zwar sofort, er erscheint nur in einem neuen Gewand, aber die Dinge die er tut sind anders. Er schlägt dich mit seiner Liebe, streichelt dich mit seinem Hass. Alles ist verdreht. Du küsst ihn, und in diesem Moment wird dir klar, es ist jemand anderes. Eine ältere Version derselben Person, neu eingekleidet? Das Bild verwandelt sich: Ein Erwachsener, den du als Kind geliebt hast, dessen Zuneigung du begehrt hast, diesmal in neuem Outfit?
Dein Verstand beschwört Freud, er soll dir deuten helfen, nichts zu machen, klare Absage – zu schnell hast du dich wieder in der gewaltigen emotionalen Welt der Erinnerung mit deinem begehrten Objekt verwoben. Und wieder wechselt die Szenerie:
Du siehst Schneeflocken, viele, fast ein Schneesturm, riechst nasse, wärmende Kleidung; ein halbvermummtes Gesicht, Zuordnung unmöglich. Dann: Speck und Zwiebel, die in der Pfanne anbraten und den unvergleichlichen Duft erzeugen, ein kurzen lautes Auflachen, der penetrante Klingelton eines Handys. Kinderlachen und Lichterketten. Du fühlst dich zu Hause, bist aber doch fremd hier, gestohlene Zeit, geborgte Behaglichkeit, künstlich?
Jetzt liegst du wach und beobachtest die Tropfen an den Scheiben, du kannst sie sehen, denn du hast das Licht draußen nicht gelöscht. Das Buch wird dich davon abhalten, in den gleichen Traum zurück zu kehren. Du bist dir sicher, dass du dahin nicht zurück willst - nicht jetzt.

Du denkst dir: “Sag es mir bitte an einem sonnigen Tag. Denk dir ein paar schöne Schnörkel aus, die es leichter machen, dämpfe das Licht und sorge für gute Musik. Vergiss den Rotwein und mach uns einen guten Tee, die Wärme, die er erzeugt, wird helfen.“

Noch liegst du mit –hinter dem Kopf verschränkten Armen - im Bett, heftest deine Augen bewusst an die Bilder an der Wand, um zu sehen, ob sie immer noch den Reiz auslösen. Du riechst die warmen Holzbretter am Balkon und die Tomatenpflanze, die nach Wasser lechzt. Es beruhigt dich, dass deine Sinne funktionieren. Du hast nicht mehr das Gefühl, augenblicklich sterben zu müssen vor Schmerz. All die fahrigen Bewegungen, die du machst, die verspannten Muskeln, die sich nicht besänftigen lassen, unangenehme Gerüche, die du sonst nicht wahrnimmst – alles scheint gegen dich verschworen zu sein - das alles sind Zeichen dafür, dass du Entscheidungen treffen musst - so kann es nicht weitergehen. Doch wer kann sie deuten im Moment der Verzweiflung? Die Stunden verrinnen zäh, du wartest, denkst nach, kannst nicht einschlafen, bis du zu erschöpft bist. Dann fällst du in einen traumlosen Schlaf, der Schlaf, der dann die kurzen schrecklichen Nachschlafphasen mit den Albträumen bringt. Die Schweißtreiber, Träume, die dich Stoßatmen lassen, wie ein Erstickender, der sich im letzten Moment von der Schlinge befreien konnte.

Du denkst dir: „ Sag es mir bitte. Lass die Schnörkel weg, das gedämpfte Licht und die Musik. Nein ich will nichts trinken.“

Was bleibt ist die Gewissheit: Alles ist vergänglich.

 

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